Ein anspruchsvoller, aber lohnender Weg – die Tschenglsburg und ihre Vision
Kinder von Tschengls
Bin gerade beim Kastanien braten und die Tschenglser Kinder stürmen beim Schlosstor herein und rufen: „Karl, das Korn, unser Korn geht auf“. Sind diese Kinder doch immer wieder zum Acker bei der Ottilia Kirche gegangen und haben kontrolliert, ob das Korn, das sie vor einigen Tagen mit den Altbauern und Herrn Burger aus Prad angesät haben, auch wirklich aufgeht. Und es sind die Kinder, die uns Bilder zeigen, die wir oft schon verloren haben. Bilder der Einfachheit und der Begeisterung. Und so werden es diese Kinder sein, die zur Mutter Erde zurück geführt werden, die einen Neuanfang erträumen und verwirklichen. Noch aber ist viel zu tun. Personen und Regionen werden notwendigerweise zu ihrem eigenen Potential, zu ihrer eigenen vorhandenen Kernkraft zurück finden und ein neues Wachsen anstreben und suchen, das auf eigenem Fundament steht. Die zentrale Gleichschaltung hat ausgedient. Die Menschen werden es sich nicht mehr gefallen lassen, Statisten in einem „gläsernen und globalen Welttheater“ zu sein. Sie wollen aktiv werden, selbst aus innerer Überzeugung und Kraft heraus, kreativ und innovativ sein und mitwirken an einer Entwicklung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht die Zahlenwelt. Das Glück der Anstrengung, der Mut für Neues und Eigenes, die Freiheit der Unsicherheit werden die Menschen begleiten.
Starke Personen, starke Regionen als Kontrast, als Gegenpol zur Globalisierung.
Wir alle haben gelernt zu gehorchen und wir tun dies auch fleißig. Zentral gesteuert werden Menschen durch Subventionen zu einem Rhythmus gezwungen, der nicht stimmig ist. Die Subventionen beschleunigen, entfremden (durch die Anpassung verlieren wir unser eigenes Potential), nehmen uns unsere eigenen Stärken und unsere Selbstständigkeit. Subventionen verführen zum Kopieren, Nachahmen, Gleichschalten. Ist schneller aber besser und ist mehr auch mehr oder ist mehr weniger? Leben wir uns und unsere Träume und Wirklichkeiten oder werden wir gelebt? Ich denke, dass Unterstützungen und Mithilfe besser wären als pauschale Subventions-Systeme.
Ich freue mich über das Dorf Tschengls. Hier darf ich Beobachter sein. Darf vom Rande aus mich und die großen Zusammenhänge beobachten. Und ich träume von einer Reduzierung der großen Räume, der Gedanken, der Zeit und will einen Kernort schaffen aus dem die wachsenden Ringe gebären. In ihrem natürlichen Rhythmus. Ohne Zwang und Beschleunigung, ohne Zureden und Aufreden. Aus der eigenen Kernkraft heraus. Einen Kernort in mir will ich suchen und bauen und einen Kernort in Bezug auf meine Heimat.
Tourismus und Landwirtschaft, notwendige Partner
Seit einigen Jahren darf ich Gäste und Einheimische durch unsere Heimat aber auch zu unseren Nachbarn begleiten. Und es sind die Erkenntnisse aus diesen Begegnungen mit den Menschen und mit der Schöpfung, die mich zum Überdenken aufrufen. Die vergangenen schnellen Jahrzehnte haben uns einen „Wohlstand“ gebracht, der oberflächlich betrachtet, ein angenehmes Leben garantiert. Aber nur oberflächlich betrachtet. In Wahrheit muss dieser Wohlstand aber neu definiert werden. Diesem Wohlstand fehlt oft das „Wohlempfinden“, dieses Gefühl wirklich und tatsächlich dabei zu sein und mitzuwirken. Allzu oft wird nur über Zahlen und Quoten geredet, nicht aber über die Inhalte und deren Sinnhaftigkeit. Wir bauen an den „Fassaden“, vernachlässigen sehr oft aber die Inhalte, das Leben hinter diesen „Fassaden“. Die übermächtigen (auf dem papier, nicht in Wirklichkeit) Systeme und Organisationen be-einflussen, er-zwingen de facto, machen uns oft „stallblind“ und nehmen uns die Fähigkeit der eigenen Wege die uns Begeisterung, das Glück der Anstrengung, die Kreativität, die Innovation erlauben. Wir sind soweit, dass wir annehmen, nicht mehr ohne die großen Zusammenhänge auskommen und überleben zu können. Dabei sind es gerade die großen überschnell gewachsenen Wirklichkeiten, die uns Unsicherheit und das ungute Gefühl machtlos und hilflos zu sein, beschert haben. Die Touristiker nützen die Bilder der Landschaft für die Bewerbung unserer Heimat. Und es sind diese Bilder, die Touristiker und Landwirte zusammenführen sollten. Der Tourismus braucht eine aufrichtige und starke Landwirtschaft und die Landwirtschaft „könnte“ zusammen mit dem Partner Tourismus, eigene lohnende Wege beginnen. Konkret: die Landwirtschaft bietet an und die Touristiker bringen die Produkte der Heimat auf den Gästetisch. Für diesen Weg braucht es aber eine neue Überzeugung, die im aufrechten Bezug zur Heimat entstehen und wachsen kann. Das Bestehende – im Tourismusbereich aber auch in der Landwirtschaft – ist ein aufschlussreiches Bild einer Epoche. Fleißige Menschen haben nach den verheerenden Kriegen mit viel Einsatz und mit starker Willenskraft Akzente gesetzt und Strukturen geschaffen, die sich sehen lassen können. Jetzt gilt es diese Strukturen mit der notwendigen „Software“, mit Inhalten zu füllen. Unweigerlich wird man auf der Suche nach diesen Inhalten auf die notwendige Zusammenarbeit zwischen Tourismus und Landwirtschaft treffen und beide Seiten täten gut daran dem „Erarbeiteten“ das „Menschliche“ hinzu zu fügen. Was heißt das konkret? Wir Menschen sind nun einmal Körper und Seele und manchmal scheint es als wäre dieser Teil des Nichtmessbaren (Seelenlandschaft) in uns auf der Strecke geblieben. Noch ist es nicht zu spät und es ist weder ein Jammern noch ein Verurteilen angesagt. Im Gegenteil: die wirtschaftliche Leistung verdient ihren Respekt. Es ist aber höchste Zeit für ein Innehalten, ein Überdenken und ein notwendiges Handeln. Und daraus ergibt sich die Vision:
Warum die Getreideäcker der Apfel- und der Tourismuswirtschaft gut tun
Bin oft mit Gästen, Einheimischen und besonders auch mit Journalisten unterwegs. Es sind die Erzählungen die die Menschen interessieren. Erzählungen entstehen aus Erlebtem, aus bewusst Erlebten und Erfahrenen. Bewusst erleben und erfahren kann ich nur wenn ich selbst mit dabei bin. Irgendwie. Als Kopie oder Nachahmer werde ich nicht begeisternd erzählen können, denn mir fehlt eben die Begeisterung die auf einem eigenen Weg entsteht und wächst und nach Ausdruck verlangt. Der Vinschgau – möchte mich hier auf mein Heimattal, auf das Tal der jungen Etsch beschränken – hat sehr großes eigenes Potential. Was ist eigentlich dieses Potential? Von 1.500 Metern Meereshöhe zieht sich das Tal hinunter bis zum Meraner Talbecken. Begleitet wird das Tal der jungen Etsch von zwei Bergketten, die dem Tal das notwendige Wasser liefern. Und wir haben einen Sonnenberg und einen Nörderberg, wir haben herrliche Seitentäler und Dörfer und haben eine Geschichte die sich in vielen Spuren lebendig und nahfern zeigt und mahnt und aufruft und fordert und lobt und da ist. Und der kraftvolle und freie Vinschgerwind ist willkommener Begleiter. Er bläst die Regenwolken weg und öffnet alle Weiten für ein unvergleichliches Blau. Und ich gehe gerne in die Dörfer und sehe mir die Gesichter an, die Gesichter der Menschen und sehe in ihre Augen und finde eine Vielfalt, den notwendigen Geist für Verborgenes und Offenes und je weiter ich nach „OBEN“ gehe, spüre ich diesen langsamer werdenden Rhythmus im Reden und Gehen. Und zwischen den gesprochenen Worten erahne ich ein Überdenken und die Menschen wissen was sie reden. Fast immer. Nicht immer kann ich aber alles verstehen und begreifen und ich selbst komme ins Grübeln und ertappe mich, dass immer alles schnell gehen muss. Und immer wieder höre ich vom großen Potential reden, das der Vinschgau und der Vinschger haben soll und auch ich tue mich schwer, dieses Potential genau zu definieren, zu beschreiben. Vieles liegt im Schweigen und in der Stille geborgen und vielleicht ist gerade dies der Zauber das große Potential, der über dem Tal liegt und der all jene befällt die sich Zeit nehmen für ein Innehalten und ein Beobachten und ein „Sich-Hineindenken. Und dieser Zauber hat Dichter und Denker und Musiker beflügelt und sie zu „Erzählern“ gemacht. In Bildern, in Melodien und in Texten. Und während ich hier schreibe, an diesem Novembermorgen, kommen mir gerade diese Bilder des „Geheimnisvollen“, des „Unberührten“, des „Unausgesprochenen“, des „Wachsenden“, des „Eigenen“, des „Vintscherischen“, des „Bewussten“ in den Sinn und dies wird wohl das Potential sein. Wo gibt es sie noch die wilden Landschaften des Sonnenberges, wo finden wir noch dieses intensive Farbenspiel des Schattenberges, wo stehen Schwarzerlen noch stolz und gerade in weiten Ebenen an ihrem Fluss, wo strahlt der weiße Stein so weiß und selbstbewusst, wo blicken Berghorizonte so klar gezeichnet in das Tal, wo begegnen sich auf engstem Raum Süden und Norden, wo begegnen sich so viele verschiedene lebendige Sprachformen in den Dörfern. Und in all dem und in Vielem mehr liegt die Kraft dieses Tales, das von einer jungen Etsch und von vielen lebenspendenden Wassern liebevoll versorgt wird. Und es ist die Stille die über dem Tal ruht. Und gerne bin ich auf der Suche nach dieser Stille und unterwegs entdecke ich all die kleinen und großen Geheimnisse und entdecke mich. Und so ergeht es mir und Vielen, die in unser Tal kommen und alle spüren wir diesen unverleichlichen großen Zusammenhang und manchmal wenn es stiller wird als still, dann sind wir diesem Vinschgauer „Potential“ nahe und wir fühlen uns wie daheim. Und so bleibt diese Vinschgauer Kraft im Verborgenen und es ist die Suche nach dem Geheimnis, die uns anzieht und uns auf unserem Weg begleitet. So bleibt der Vinschgau ein großes weites Land der Emotionen, der gelebten und nicht gelebten Schönheiten und der versteckten und offenen Erzählungen und auf der Suche nach dem Geheimnis sind wir mitten drin in unserem Leben. Im Denken werden wir unser Tal nie zur Gänze erfassen können. Und was gibt es Schöneres und Erfüllenderes, als dass wir für die Begegnung mit unserem Heimattal unsere Seele neu wecken müssen. Im rein rationalen Denken zeigt sich unser Land nur zum Teil. Zuerst werden wir uns selbst finden und öffnen müssen, um in einer Spiegelung umserem Heimattal näher zu kommen. Ganz nah werden wir unserer Heimat dann sein, wenn wir die Heimat in uns entdeckt haben werden. Dierse uns eigene Kernkraft, die Fundament ist, damit wir aus dem Innersten heraus wachsen können. Und die Oberflächlichkeiten sind dabei schon längst hinter die Bergkanten verschwunden. Gehen wir hinaus und lernen wir Sehnsucht spüren. Die Sehnsucht ist der Weg, die Sehnsucht erlaubt uns einen eigenen Weg zu Heimat in uns und zu unserer Heimat. Und all die Gäste werden diesen unseren Weg aufmerksam begleiten und spüren, dass wir nun aufrichtige Gastgeber sein können, denn wir haben unsere Heimat gefunden. Nur wer Heimat lebt, kann Heimat anbieten. Die Rückkehr der Kornfelder ist eine Erzählung, die aus dem Innern kommt. Sie verliert sich nicht im Gewirr von Zahlen und Quoten. Und lebendige und menschennahe Erzählungen tun den Menschen gut, tun aber auch den Produkten gut, die in der Nachbarschaft wachsen. Ein positives Bild unserer Heimat, eine positive Erzählung wird bei der Entscheidungsfindung im Supermarkt wirksam. Ein positives Bild unserer Heimat wird bei der Wahl des Feriengebietes mitentscheiden. Leben wir also unsere Heimat und finden wir über die Heimat in uns zu unserer Heimat zurück. Eine Heimat die erobert, die gefunden, die geliebt werden will. Wie zartes Gras vom Vinschgerwind.
Schreibe einen Kommentar